„Normale“ Vulven – was sagt die Wissenschaft dazu?

„Normale“ Vulven – was sagt die Wissenschaft dazu?

30. Oktober 2020 2 Von Katharina Weitkamp

“Aber, was IST denn jetzt normal?“ fragst du. Hervorstehende innere Vulvalippen? Der unsichtbare Schlitz der Barbie-Puppe? Üppige äußere Lippen?

Schauen wir doch, was die Wissenschaft dazu zu sagen hat: Bis heute gibt es in der wissenschaftlichen Literatur nur vier Studien über natürliche anatomische Variationen der weiblichen Genitalien – aus Großbritannien, Dänemark, der Türkei und der Schweiz.

Beim Penis ist es anders…

Interessanterweise ist der Penis rauf und runter vermessen worden in eregiertem und nicht-eregiertem Zustand in zahlreichen Studien. Es gibt aber keine einzige wissenschaftliche Studie, die die Vulva in eregiertem Zustand vermessen hat! (Falls du eine Studie kennst, sag mir Bescheid, die würde ich gerne hier aufnehmen!)

Was sagen wissenschaftliche Studien

Die Stichproben in den vier Studien variierten, darunter prä- und postmenopausale Frauen mit Stichprobengrößen von 50 bis 657 Frauen – aber alle aus Europa. Wir müssen also davon ausgehen, dass wir eigentlich nur etwas über die natürliche Variation kaukasischer Frauen mit einer gewissen Evidenzbasis wissen. Die Ergebnisse waren ähnlich, hier die Eckdaten:

In der dänischen Stichprobe hatten 54% der Frauen vorstehende innere Vulvalippen (Wildfang Lykkebo et al., 2017). Es ist also genauso normal, vorstehende innere Vulvalippen zu haben wie nicht.

Für die Neugierigen gibt es hier eine Tabelle aus Lloyds britischer Stichprobe von 50 Frauen über den normalen Range von Klitoris und Vulvalippen (Lloyd et al., 2005; S. 644):

Lloyd et al., 2005; S. 644

Was sagt mir die Tabelle:

Die äußeren Vulvalippen waren zwischen 7 und 12 cm lang (durchschnittlich 9,3 cm), die inneren Vulvalippen zwischen 2 und 10 cm (durchschnittlich 6 cm).

Die Länge des äußeren Teils der Klitoris war zwischen 0,5 und 3,5 cm lang (durchschnittlich 1,9 cm).

Der Damm war zwischen 1,5 und 5,5 cm lang (3,1 cm).

Bei fünf von sechs Frauen war die Farbe des Genitalbereichs dunkler als die umgebende Haut.

Bei zwei von drei Frauen waren die Vulvalippen mäßig rugos (runzlig).

Bei mehr als 9 von 10 Frauen wuchs Genitalbehaarung auf dem Venushügel und an den inneren Oberschenkeln (Tanner-Stadien der Genitalbehaarung).

Fazit: Vielfalt und Einzigartigkeit

Wie du siehst, ist die Vielfalt groß. Daraus lässt sich nur sehr schwer ableiten, was „normal“ oder was „nicht normal“ ist. In diesen kaukasischen Stichprobe gab es praktisch alle Grössen – aus anderen Teilen der Welt liegen uns leider noch keine wissenschaftlichen Studien vor.

„If we women knew more about our own bodies and the wide range of ‘normal’ when it comes to our genitalia, we would be less prone to outside voices telling us that we need to be fixed.“ (Oeming, 2018; S. 84) – frei übersetzt: Wenn wir Frauen mehr über unsere Körper und die Bandbreite dessen wüssten, was bei unseren Genitalien „normal“ ist, dann würden wir weniger auf Stimmen hören, die sagen, dass mit uns etwas falsch ist.

Um die Unsicherheit um die weiblichen Genitalien nicht mit dem Skalpell, sondern mit Wissen zu bekämpfen, kannst du hier mehr Informationen über die natürliche Variation der Vulva holen!

Liebe dich in deiner Einzigartigkeit!

Literatur*:

Basaran, M., Kosif, R., Bayar, U., & Civelek, B. (2008). Characteristics of external genitalia in pre- and postmenopausal women. Climacteric, 11, 416–421. https://doi.org/10.1080/13697130802366670

Kreklau, A., Vaz, I., Oehme, F., Strub, F., Brechbühl, R., Christmann, C., & Günthert, A. (2018). Measurements of a “normal vulva” in women aged 15-84: A cross-sectional prospective single centre study. BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology. https://doi.org/10.1111/1471-0528.15387

Lloyd, J. J., Crouch, N. S., Minto, C. L., Liao, L. M., & Creighton, S. M. (2005). Female genital appearance: “Normality” unfolds. BJOG: An International Journal of Obstetrics and Gynaecology, 112, 643–646. https://doi.org/10.1111/j.1471-0528.2004.00517.x

Oeming, M. (2018). IN VULVA VANITAS – The rise of labiaplasty in the West. Gender Forum, 2, 70–91.

Wildfang Lykkebo, A., Drue, H. C., Lam, J. U. H., & Guldberg, R. (2017). The size of labia minora and perception of genital appearance: A cross-sectional study. Journal of Lower Genital Tract Disease, 21, 198–203. https://doi.org/10.1097/LGT.0000000000000308

*Falls du an den Originalartikeln interessiert bist, aber keinen Zugang dazu hast, stelle ich sie dir gern zur Verfügung!